Ich wandte meinen Blick leicht ab, als Kyan begann, mich zu mustern. Ich mochte seinen durchdringenden Blick nicht, seine goldenen Augen hatten etwas beunruhigendes. „Und du verbringst eindeutig zu viel Zeit damit, darauf zu achten, ob andere Männer rot werden.“
Natürlich merkte er es. Und wie hatte ich nur denken können, dass Kyan zumindest den Anstand besitzen würde, es nicht zu erwähnen. Er war so ein verdammtes Arschloch. Es war mir vorher nie so stark aufgefallen, weil wir wenig miteinander zu tun hatten, auch wenn ich ihn schon immer für ein wenig arrogant gehalten hatte. Aber gerade machte ihm die Ganze anscheinend einen Heidenspaß. Nur die Aussicht, ihm diesen wenigstens ein wenig zu verderben, hinderte mich daran, vollständig die Nerven zu verlieren. Außerdem wollte ich ungern viel Aufmerksamkeit auf diese Szene lenken. Allerdings fiel mir das schon ein wenig schwer, besonders, da er anscheinend nicht die Absicht hatte, das Thema einfach fallen zu lassen, und sich stattdessen auf den Spiegel zu konzentrieren.
„Wenn du denkst, dass dieser Spruch witzig ist, das ist er nicht. Schadenfreude ist eine schlechte Eigenschaft.“ Da Kyan ihn eh schon bemerkt hatte, nahm ich den falschen Vampirzahn vom Beckenrand, und ließ ihn in der Tasche meiner Lederjacke verschwinden. Zwar traute es ihm einerseits nicht ganz zu, andererseits hatte ich auch wenig Lust, dass er ihn mir weg nahm. Dann wandte ich mich wieder meinem Gesprächspartner zu, atmete einmal kurz durch, bevor ich fort fuhr, um mich zu sammeln. „Kyan, hör mir jetzt gut zu. Wenn du das irgendwem, egal wem erzählst, mach ich dir das Leben zur Hölle. Das kannst du mir ruhig glauben.“, sagte ich ernst. Vielleicht würde diese Warnung etwas einschüchternder wirken, wenn ich dabei nicht zu ihm hätte aufschauen müssen. Kyan war bestimmt 15 Zentimeter größer als ich. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, trat ich noch einen Schritt näher an ihn heran. „Es geht niemanden etwas an, und eigentlich auch dich nicht. Du bist viel zu aufdringlich“

„Dann meinetwegen auch bei Frauen, oder was dir sonst noch so einfällt.“
Eigentlich hätte ich ihn ignorieren sollen. Einfach an ihm vorbeigehen, den Mitarbeiterraum verlassen und darauf vertrauen, dass er keine Lust hatte, eine riesige Sache daraus zu machen. Und darauf, dass er wirklich nichts weiter erzählen würde. Meine Reaktionen amüsierten ihn eindeutig immer mehr. Es war nicht so, als wäre ich zu dämlich um das zu merken. Trotzdem konnte ich mich nicht dazu überwinden, obwohl es eindeutig die vernünftigere Entscheidung gewesen wäre. So war das bei mir schon als Kind gewesen. Ich konnte mich solchen Situationen nicht entziehen, obwohl es mir schon mehrere Leute in meinem Leben geraten hatten.
„Natürlich hattest du das nicht. Sicher. Komm mir jetzt bloß nicht so, ich durchschaue deine bescheuerten Spielchen.“, schnaubte ich. Am liebsten hätte ich ihm eine verpasst, für sein selbstgefälliges Grinsen allein. Aber Kyan war Türsteher, arbeitete hier so weit ich wusste schon länger als ich, und allgemein war es eher eine schlechte Idee. Ich war mir ziemlich sicher, dass er den Schlag erwidern würde. Vielleicht würde ihm trotzdem auffallen, wie sehr ich mich was das betraf zurückhalten musste.
„Du bist so ein arroganter, selbstgefälliger Wichser, Kyan. Das war mir bis jetzt noch gar nicht so aufgefallen. Typen wie du denken immer, dass sie sich bei anderen Alles erlauben können. Aber du kannst mir ruhig glauben, dass ich meine Warnung ernst meine.“, fügte ich hinzu, um meiner momentanen Gefühlslage zumindest mit Worten Ausdruck zu verleihen. Ich wich auch keinen Schritt zurück, sondern starrte ihn nur noch hasserfüllter an. „Was interessiert es dich überhaupt, ob ich ein Vampir bin, oder nicht? Ich glaube nicht, dass es dich was angeht. Also...was willst du jetzt von mir?“

„Also falls du mich erpressen willst, das kannst du total vergessen. Ich geb dir nichts dafür, und ich tue auch nichts, damit du das für dich behältst. Erstens habe ich gar nicht genug Geld für so etwas, und zweitens wäre es mir so oder so nicht wichtig genug.“, fauchte ich, und versuchte dabei mir nicht anmerken zu lassen, das Beides eine glatte Lüge war. Doch das musste Kyan ja nicht wissen. „Niemanden hier würde das kümmern. Da bin ich mir ganz sicher. Die lachen dich aus, wenn du das irgendwem erzählst. Wahrscheinlich würden sie es nicht einmal glauben.“ Seinen sarkastischen Kommentar meine Erkenntnis betreffend, dass er ein arroganter Wichser war ignorierte ich geflissentlich. Anscheinend konnten ihn solche Bemerkungen nicht treffen, alles andere hätte mich ehrlich gesagt auch verwundert. Ich hatte es hauptsächlich gesagt, um meiner Wut Luft zu machen.
Selbst so viel zu reden während mein Gesprächspartner gefühlt den Mund nicht auf bekam, wurde mir zunehmend unangenehm. Es machte mich unruhig. Wahrscheinlich war mir diese Nervosität anzusehen, ich war noch nie gut darin gewesen so etwas zu verbergen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Kyan es nicht in meinen Augen lesen oder aus meinem Tonfall heraushören könnte, hatte meine restliche Reaktion ihm wahrscheinlich schon genug gezeigt. Selbst wenn ich ab jetzt die Klappe hielt, das hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Als er sich einfach nur nach lehnte, ohne sich dazu herabzulassen meine Frage überhaupt zu beantworten, hatte ich endgültig genug von dieser Nummer. Die Art, wie Kyan mich ansah, als wollte er mir in die Seele blicken war mir zu viel, gerade in dieser Situation. In diesem Moment dachte ich auch nicht lange nach, es war wie ein Reflex. Ich versuchte, ihn zurück zu schubsen, nur ganz leicht, damit er mich nicht mehr so anstarren konnte. „Komm mir nicht so nah.“

Als Kyan mich für einen Augenblick nur musterte, nichts sagte und nichts tat außer mich anzusehen nachdem ich ihn geschubst hatte, befürchtete ich kurz, dass er sich dafür revanchieren würde. Aber das tat er nicht. Stattdessen drehte er sich um, anscheinend um zu gehen. Allerdings nicht ohne eine letzte Bemerkung. Eigentlich hatte er nichts, absolut gar nichts von mir zu wollen. Was bildete sich Kyan eigentlich ein? Trotzdem spielte ich dieses Spiel mit, denn zugegebenermaßen hatte ich diesen Typen selbst gefragt, was er eigentlich wollte. Wäre peinlich, wenn ich jetzt so tat, als wollte das eh niemand wissen.
„Oh, lass dir ruhig Zeit. Ist nicht so, als ob es wichtig wäre.“, sagte ich stattdessen, genervt von der erneuten Verzögerung, und verdrehte die Augen, bevor ich mich von Kyan ab und wieder dem Spiegel zuwandte. Dabei war es eigentlich am besten, wenn er jetzt ging. Aus mehreren Gründen. Bevor ich ordentlich arbeiten konnte, musste ich noch das tun, bei dem Kyan mich eben unterbrochen hatte, nämlich meinen künstlichen Zahn wieder ankleben. Und wenn ich Glück hatte, würde ich vielleicht in dieser Zeit schaffen, wieder etwas herunterzukommen. Wäre er geblieben, konnte das Ganze nur noch mehr eskalieren. Da war ich mir sicher. Egal, was Kyan sagte oder besser gesagt nicht sagte. Ich hatte jetzt schon den starken Drang, auf ihn loszugehen, sobald er mich nur mit seinem typischen abschätzigen Blick sah. Möglicherweise würde die Konzentration auf meine Arbeit mir helfen, ein wenig Distanz zu diesen Gefühlen aufzubauen. Mir klar zu machen, was es mich theoretisch kosten könnte, wenn ich mich dafür entschied mich so dermaßen daneben zu benehmen. Nur leider wusste ich, dass die Zeit, in der ich warten musste, bis unsere Schicht vorbei war die absolute Hölle sein würde. Ich war jetzt schon so nervös, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte, als an was auch immer sich dieser Idiot möglicherweise ausdenken würde.

Ich fühlte mich ziemlich hübsch in meiner schwarzen leicht zerrissenen Jeans, dem schwarzen T-Shirt mit dem Pentagramm drauf und der rosa flauschigen Jacke darüber. Auch mein MakeUp war on point und ich hatte mich heute für blaue Kontaktlinsen entschieden, die gut zu meinem ganzen Outfit passten, wie ich fand. Gerade stand ich hinter einem offenbaren Paar, das hereingelassen werden wollte und dann war ich dran an dem dunkelhäutigen und nahezu gigantischen Türsteher vorbei zu gehen, der den Eingang bewachte.

Ich wurde von dem großen Türsteher aufgehalten, ehe ich weiter gehen konnte, offenbar hielt er mich für weitaus jünger als ich es war, dass er mich dabei als "Girlie" bezeichnete störte mich nicht im geringsten, vielleicht wollte er mich beleidigen, aber das klappte bei mir mit so etwas einfach nicht. Ich unterdrückte also nur schwer ein Lachen und lächelte stattdessen süß, während ich meinen Ausweis hervorzog um ihn herzuzeigen. Ich glaube mit meinen 30 bin ich alt genug für die meisten Clubs.

Ich warf der Person hinter mir, die dank dem böse Blick des Türstehers ganz schnell wieder verstummt war, einen entschuldigenden Blick zu, ich wollte immerhin eigentlich niemanden länger aufhalten als nötig, aber der große Mann vor mir schien mir mein Alter nicht abzunehmen, wohl hatte er allerdings eine Erkenntnis beim ansehen meines Ausweises. Oh, ja, das bin ich. Er hatte mich also wirklich für ein Mädchen gehalten. Nun, das beleidigte mich auch nicht wirklich, das passierte immer wieder und eigentlich amüsierte es mich eher sehr. Ich kicherte leise und zwinkerte meinem Gegenüber gut gelaunt zu. Ich weiß, dass ich jung aussehe, aber ich denke bei einem falschen Ausweis hätte ich mich deshalb eher für 18 oder 21 entschieden. Aber, wenn du mir kurz die Chance gibst, kann ich es auch anders beweisen und du kontrollierst währenddessen einmal diese netten Leute hinter mir. Da ich niemandem Umstände bereiten wollte stellte ich mich noch ohne eine Antwort neben den Türsteher um die anderen Personen vorbei zu lassen.

Ich lächelte dankbar und strahlend zu Kyan hoch, als er mich noch etwas mehr in Sicherheit zog und holte dann mein Handy hervor, auf dem ich die neueste Ausgabe einer Zeitschrift aus diesem Land aufrief, in der sich neben Bildern von mir, auch eine kleine Zusammenfassung zu meiner Person fand. Dort standen unter anderem mein Sternzeichen, Schütze, und mein genaues Geburtsdatum. Ich wartete geduldig bis der Türsteher wieder eine ruhige Minute hatte und hielt ihm dann mein Handy mit seinem süßen, puscheligen Anhänger daran hin, so dass er den Artikel sehen konnte. Bitte sehr.