Gerade hatte ich meinen Mund geöffnet, um mich -nochmal- dafür zu entschuldigen, dass ich böse auf sie gewesen war, wegen etwas, das jetzt mit unseren neuen und viel größeren Problemen irgendwie lächerlich erschien, aber ich schloss ihn sofort wieder. Ayumi durchschaute mich vermutlich mühelos was ich gerade hatte tun wollen - und ich grinste verlegen. Ayu will keine Entschuldigungen mehr von mir. Ich sollte mich daran halten. Auch wenn ich immer noch diesen Drang verspürte, mich einfach zu entschuldigen und weiter um Verzeihung zu bitten.
"Ok"
Meine Augen brannten und ich bemerkte, wie Ayumi aufstand. Mein Blick ging nach oben und ich begegnete ihrem gerade als wir beide den Mund aufmachten.
"Kann ich eine Umarmung haben?"
Da hatten wir wohl den selben Gedanken. Ein kleines schiefes Lächeln zog einen meiner Mundwinkel unwillkürlich in die Höhe. Ich war fast froh, dass sie mich dasselbe gefragt hatte. Meine Stimme klang viel zu klein, aber ihre auch. Früher standen wir uns nahe. Aber das könnte wieder werden, oder? Sandy hat es gesagt er würde daran glauben. Und ich glaube ihm. Ich glaube an mich und Ayu. Ich zögerte nicht einmal, als ich sofort anfing, mich zu bewegen. Ich öffnete meine über kreuzten Arme und legte meine Hände auf die Stuhllehnen um mich nach oben zu drücken.
Aufgerichtet in ein paar wenigen großen Schritten ging ich auf Ayumi zu und hielt meine Arme auf. Ohne ein Zögern legte ich meine Arme um sie und zog sie nah an meine Brust heran. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich ließ sie zwischen ihren schmalen Schulterblättern auf ihrem oberen Rücken liegen.

Ich schnaubte ohne es zu wollen leise, als Kaito mir die selbe Frage stellte wie ich auch ihm. Es schien mein Herz etwas zu erleichtern zu wissen, dass wir beide das selbe gedacht hatten. Wie früher. Auch ich wartete keine Sekunde länger, kaum, dass mein Bruder sich erhoben hatte, schlang ich meine Arme um seine Mitte. Ich hielt mit der einen Hand mein Handgelenk fest und drückte mein Gesicht gegen seine Schulter. Ich war nun ein bisschen kleiner als mein Zwillingsbruder, nicht viel, aber ein Stückchen, genug um mein Gesicht an ihm zu vergraben.

Wie früher. Ehrlich gesagt machte mich sogar Ayumis Schnauben glücklich. Es war so lange nicht mehr passiert, während ich weg war - jemand dachte gerade genauso wie ich. Ich konnte es fühlen. Es war schon immer hier gewesen, dieses Band das Ayumi und mich verband. Ich konnte es noch schwach fühlen. Früher war es deutlich stärker gewesen. Vielleicht kann es wieder werden. Zumindest stärker als es jetzt ist. Ich festigte meinen Griff um sie ein wenig, nicht viel, ich wollte sie nur zu sehr in meinen Armen halten.
"Ich habe das so sehr vermisst."
Meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren aufrichtig verletzt. Ich hatte das wirklich vermisst -allein den Körperkontakt- und es hatte auch wirklich sehr weh getan, Ayumi wieder unglücklich mit mir zu Hause zu sehen. Ich will Ayu einfach glücklich sehen.
"Ich habe übrigens ein Geschenk für dich, Ayu. Ich wusste nicht, wie ich es dir früher geben sollte, weil ich keinen falschen Eindruck machen wollte. Aber ich denke, es könnte jetzt der richtige Zeitpunkt sein, echt jetzt."
Denk darüber nach, was Sandy gesagt hat. Er hat gesagt, sie würde es wollen. Ich ließ sie noch nicht los, meine Arme immer noch um sie. Aber ich hatte sie etwas lockerer gelassen. Denk daran. Trotzdem wartete ich gespannt auf ihre Antwort. Ich war der Meinung jeden ihrer Atemzüge hören zu können.

Ich auch. Meine Stimme war nicht minder verletzt als Kaitos, klein und gedämpft klang sie aus seiner Schulter hervor, aber meine Worte waren schmerzhaft ehrlich gemeint, ich hatte Kaito jeden Tag seit er verschwunden war vermisst, egal wie viel Zeit auch vergangen war. Als wir uns wieder lösten, viel zu früh, wie ich fand, wischte ich mir schnell über meine feuchten Augen und lächelte schwach. Ich hatte nicht wirklich geweint, aber ich war kurz davor gewesen, war es immer noch. Ach wirklich? Was ist es denn? Ein Geschenk hatte ich wirklich nicht erwartet, aber ich war doch etwas gespannt darauf was es war, neben meiner Verwunderung.

Vielleicht war ich einfach nur egoistisch, aber ich war sehr froh, Ayumis Stimme zu hören, die sich auch nicht allzu sicher war. Es bedeutete, dass wir beide noch mit diesen Tatsachen kämpften und ich war wirklich froh, dass ich nicht alleine kämpfen musste. Ich will nicht, dass sie kämpfen muss. Ich will nur einfach nicht allein sein. Nicht mehr. Wenn ich ein Gladiator in einer Arena wäre, wäre ich froh, wenn Ayumi mit mir Seite an Seite kämpfen würde. Und manchmal fühlten sich unsere Leben wirklich wie diese Arenen an. Wir waren zwei Gladiatoren, die sich all diesen Gefahren und Hindernissen stellen mussten, die auf uns losgelassen wurden.
"Von jedem Ort, den ich besucht habe, habe ich dir etwas von dort mitgebracht. Wenn ich an dich denken musste, wenn ich etwas sah, das dir gefallen könnte. Eine Sammlung sozusagen."
Ich hoffe sehr, dass es ihr gefällt. Ich zog meine Arme ein wenig zurück und glitt an ihrem Rücken entlang, aber ich ließ meine Hände auf ihren schlanken Schultern ruhen. Den Körperkontakt zu Ayumi wollte ich noch nicht vollständig aufgeben. Ich hielt sich allerdings nicht fest. Ihre Entscheidung. Das war ein Fakt für beide Male. Ich versuchte, ihr in die Augen zu sehen, um herauszufinden, was sie wirklich darüber fühlte. Ich möchte nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlt.
"Das musst du dir jetzt nicht anschauen."

Oh. Das war allerdings mehr als ich gedacht hatte, soweit ich verstanden hatte, war Kaito in den vergangenen fünf Jahren an sehr vielen Orten gewesen und wenn er wirklich von überall was mitgenommen hatte musste das ein ganzer Haufen sein, allerdings gab es da noch etwas wichtigeres, das sich in meinem Kopf nach vorne schob. Also hast du all die Zeit an mich gedacht? Ich wollte nicht gar so überrascht klingen, aber ich war es doch, auch wenn ich bei meinem eigenen Tonfall etwas zusammenzuckte. Ich meine... entschuldige, blöde Frage... Ich wollte Kaito nicht verletzen, aber ich wollte ihm gegenüber doch sehr ehrlich sein, wir hatten uns zu lange nicht gesehen um uns anzulügen, wie ich fand. Ich blieb allerdings dicht bei Kaito stehen und bewegte mich nicht aus seinen Armen hinaus, ich wollte ihm auch nahe sein, das hatte ich zu lange vermisst, meine Hände kamen also locker an seinen Hüften zu liegen.

Es muss schwer gewesen sein zu denken, dass ich sie nicht vermisst habe. Oder dass ich sie vergessen hatte. Ich lächelte nur ein wenig traurig, aber ich war nicht im Geringsten sauer. Ayumi hatte gerade eine faire Frage gestellt und ich hätte eine solche Frage auch niemals als dumm bezeichnet. Keine Frage von Ayumi war dumm. Natürlich wünschte ich mir, es wäre anders, aber sie hatte jedes Recht, sich von meinem Geschenk überraschen zu lassen. Ehrlich gesagt, das war irgendwie auch der Gedanke dabei.
"Nein, ich denke, es ist eine berechtigte Frage, Ayu. Ich weiß, es schien nicht wirklich so."
Mein Mundwinkel zuckte etwas nach unten.
"Ich hoffe ich kann es dir erklären. Aber ich fühlte mich einfach sehr schwach. Es war wirklich eine schlimme Zeit für mich. Nicht nur für mich, das will ich damit auf keinen Fall sagen, echt jetzt! Und alles, was mich an Bordeaux erinnerte, an hier... erinnerte mich an ihn. Ich konnte nicht einmal den Gedanken ertragen, dir oder Mum eine SMS zu schreiben. Vielleicht einfach lächerlich von mir."
Mein Tonfall bei dem einen kleinen Wort -'ihn'- war bereits vollkommen eisig und abfällig geworden. Ich hasse ihn. Keregi und jede egal wie kleine Ähnlichkeit zu ihm machte mich immer sofort wütend, es war schwierig, sich darüber nicht zu sehr aufzuregen. Ich atmete allerdings tief durch und konzentrierte mich auf die leichte Berührung ihrer Hände an meinen Hüften. Er kann mir das hier nicht wegnehmen. Vielleicht hat er es versucht, aber er wird es nicht schaffen. Ich werde meine Fehler wieder gutmachen. Ich sog fest Luft durch die Nase ein und atmete durch den Mund wieder aus, bevor ich Ayumi anlächelte. Mein Ausdruck in meinen beiden Augen wieder vollkommen weich und zart. Ich bin nicht er. Ich bin viel besser als er es jemals hätte sein können. Ich stelle mich wenigstens meinen Fehlern.
"Ich habe wirklich viel an dich gedacht. Und ich hoffe, dass ich es dir durch meine Erinnerungen zeigen kann. Es ist in meinem Zimmer, wenn du es sehen möchtest, wäre ich gerne dabei."

Ich hörte Kaito aufmerksam zu, hatte dann aber gleich etwas einzuwerfen, weshalb ich das rasch auch tat. Das ist gar nicht lächerlich. Ich drückte Kaitos Hüften etwas mit den Händen und sah ihm einen Moment in die Augen, ehe ich intensiv begann seine rechte Schulter anzustarren. Es ging mir ähnlich, als ich im Internat war, erinnerst du dich noch? Es herrschte damals auch praktisch Funkstille, ich wollte einfach nicht an Zuhause denken. An den Ort wo... er war. Oder eben auch nicht. Ich machte ein leises, beinahe angewidertes Geräusch in meiner Kehle und schüttelte etwas den Kopf. Keregi war vieles gewesen, aber er kein Vater. Ich würde die Mitbringsel aber gerne gleich sehen. Ich hob den Blick wieder und lächelte meinen Bruder an, es war nich vorsichtig, als würde ich mich erst wieder herantasten, aber immerhin.

Anstatt noch etwas Wörtliches zu antworten, nickte ich eher knapp. Es war schwierig für mich über unseren Vater zu sprechen, weil mir immer derselbe unangenehme Gedanke in den Sinn kam - der mir in der Regel einen Schauer über den Rücken jagte. Was, wenn ich eines Tages genauso bin wie er? Auch jetzt spürte ich, wie sich die Haare in meinem Nacken aufstellten. Stattdessen lächelte ich zu Ayumi hinab. Ich verstehe dich. Ayumi musste mir das nicht erklären, ich hatte es mir schon gedacht, oder eher stark vermutet, das wir doch genau dasselbe gedacht hatten. Es ist für uns beide nicht einfach gewesen.
"Dann komm mit mir. In mein Reich."
Noch war ich nicht bereit mehr über Keregi zu sprechen. Oder überhaupt über unsere Familie - abgesehen von uns beiden. Ich drückte stattdessen kurz ihre Schultern und zog dann langsam wieder meine Arme an mich ungefähr auf Brusthöhe. Dort wackelte ich mit den Fingern und trat dann langsam Schritt für Schritt nach hinten.

> Kaitos Zimmer

Ich nickte verstehend, er musste nichts sagen, Keregi war für uns beide ein schmerzhaftes Thema und wenn er nicht darüber reden wollte war das in Ordnung, ich wollte es ja auch nicht wirklich so dringend, wenn ich völlig ehrlich war. Dann aber prustete ich los, da Keregi so tat als wollte er mich mit sich locken. Was bist du? Eine alte Hexe? Leise kichernd folgte ich meinem Bruder Schritt für Schritt nach hinauf in sein Zimmer.
(Kaitos Zimmer)

Ich trat in die Villa und blickte mit einem Lächeln eine Dienerin an die meinen Mantel nahm und in mein Zimmer trug. Ich sah ihr eine Weile nach. „Das hätte ich auch tun können. Trotzdem vielen Dank.”, ich seuftzte und drehte mich zu Ayumi um. „Wärst du dafür das wir Nekro dem Zutritt zum Clan verweigern und das für immer?Willst du noch irgendwas mit mir besprechen irgendwas anderes was nicht den Clan betrifft oder auch was den Clan betrifft?”, fragte ich meine Tochter und blickte ihr in die Augen.

Auf dem Weg zur Villa hatte ich gespürt wie meine Füße immer schwerer und schwerer wurden, die Pflanzen meines Kleides begannen langsam zu welken und am liebsten wollte ich mich gerade einfach nur irgendwo zusammenrollen. Nekro erinnerte mich einfach an Keregi und Keregi hatte es immer gut geschafft mich in ein Tief zu stoßen. Und das obwohl er seit vielen Jahren gar nicht mehr in meinem Leben vorhanden war. Ich weiß es nicht. Ich seufzte leise noch während ich meiner Mutter antwortete und sah abwesend an ihr vorbei. Nein, gerade will ich einfach nur ins Bett, okay?

Ich nickte. „Ja in Ordnung.”, ich strich ihr sanft über den Kopf und und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ruh dich aus Ayumi.”, ich machte mir Sorgen um sie und um Kaito auch. Ob ich zu ihr durchdringen kann? Das sie mir zumindest sagen kann was sie quält? Oder vielleicht quält sie nicht wirklich was, vielleicht beschäftigt sie was oder sie macht sie vielleicht Sorgen. Aber im Moment ist sie erschöpft. Ich lächelte sie sanft an.

Ich nickte als Antwort nur stumm und selbst das schien mir schon fast zu anstrengend zu sein. Die Treppen hochzusteigen erschien mir wie eine unmögliche Aufgabe, doch ich musste sie wohl bewältigen, wenn ich nicht einfach vor meiner Mutter stehen bleiben wollte, das hätte nur Fragen gegeben für die ich einfach keine Energie hatte. Nach einer also etwas zu langen Pause bewegte ich endlich wieder meine Füße und begann mit schlurfenden und schweren Schritten den Aufstieg.

(Ayumi's Zimmer)

Ich wollte Richtung Büro schlendern doch Diener versperrten mir den Weg. Dabei trat eine Dienern mit einem Tablett auf mich zu, ein Kessel und eine Tasse standen drauf. „Na gut ich gehe mich schon ausruhen.“, dankend nickte ich der Dienerin zu mir zu folgen. Oben im Zimmer machte sie mir den Tee und stellte es auf meinem Nachtkasten ab. Ich dankte ihr und sie verließ mein Zimmer. Ich fing an auf meinem Handy Sachen zu lesen oder Videos anzuschauen und zu entspannen, dabei trank ich meinen Tee bis er leer war und ich nach dem letzten Video schlafen ging.